Aufgegabelt in: Neues, selbst verfaßtes Kochbuch, oder kleine Sammlung von besonders ausgesuchten Speisen nach heutigem Wienerischen Geschmacke: Für alle Stände eingerichtet von Maria Anna Wieser, Wien 1816.
Zutaten:
Menge für 3 Personen.
3 Tauben (vorzugsweise Österreichische Ganselkröpfer, eine vorzügliche altösterreichische Fleisch-Taubenrasse)
15 dag Kalbfleisch (vom Hals oder der Schulter)
3 gelbe Rüben
3 Petersilwurzen
3 Schalotten
einige Pfefferkörner
einige Basilikumblätter
177,3 ml Rotwein
1/8 Weinessig
Rezept:
Stich die Tauben ab, und laß das Blut mit Essig laufen, putze und wasche es rein, salze und tressiere es schön ordentlich, hernach belege eine Rein mit Speck, spanischen Zwiebeln, ein wenig gelbe Rüben und Petersilwurzen, etwas ganzes Gewürz, ein wenig Basilikum, und ein Stückel Kalbfleisch, hernach lege die eingesalzene Tauben auf die Brust hinein, setze es auf ein Kohlfeuer, und lasse es dünsten, gib immer mit einem rothen Essig, und zuweilen mit einer braunen Suppe Saft, bis die Tauben sammt dem Wurzelwerk eine braune Glaß bekommen. Wenn die Tauben weich sind, so nimm sie heraus, staube auf das Wurzelwerk ein wenig Mehl, gieß ein halbes Seitel guten rothen Wein darauf, die übrige braune Schü, wie auch das in Essig gelassene Blut gib auch dazu, und laß die Soß wohl versieden, hernach schlage es durch ein Haarsieb, lege die Tauben darein, laß es nach Belieben kochen, und richte sie alsdenn an.
Erklärung des verwendeten Vokabulars:
tressieren (=dressieren): Das Bereiten des Vogels, um beim Backen zu verhindern, dass abstehende Teile wie Flügel oder Schenkel unverhältnismäßig früher durchgebacken sind. Ein paar einfache Handgriffe (Ausrichten des Vogels mit Brust nach oben, Unterschieben der Flügel, kreuzweises Fixieren von Flügel und Schenkel mit Küchengarn am Körper).
Rein: Eine altösterreichische Rein ist dem Lieblingsnachbarn als Bratrohrpfanne bzw. Bräter und dem französischen Conoisseur als (gusseiserne) Cocotte bekannt.
spanische Zwiebel: Schalotten
ganzes Gewürz: Pfefferkörner im Ganzen
ein Seitel: Das Wiener Seitel umfasste 0,3546 l (Quelle: Wagner, Strackerjan: Kompendium der Münz-, Maß-, Gewichts- und Wechselkurs-Verhältnisse sämtlicher Staaten und Handelsstädte der Erde; Verlag Teubner, Leipzig 1855)
rother Essig: Weinessig
braune Suppe: die Potage brun der klassichen (französischen) Küche, die ihre braune Farbe vom Anbraten des Grundlagenfleisches erhält. In Wien aufgrund der entsprechenden, vielzitierten Vorliebe wohl Rindsuppe.
Glaß: Altwiener Schreibweise der französischen Glace
Schü: Altwiener Schreibweise der französischen Jus